Foto: © Peter Weidemann - In: Pfarrbriefservice.de
Anfang Oktober waren wir auf der Insel Borkum zu den Exerzitien der ME-Gemeinschaft. Wir haben mit den Psalmen und den vier Gefühlsfamilien (Angst, Wut, Trauer, Freude) gearbeitet. Eine weitere möchten wir heute im Sonntagsimpuls mit Euch teilen: WUT und KLAGEN.
(Paul) Ich kenne die Situationen gut, in denen ich schnell wütend werden kann: Wenn Dinge nicht so funktionieren, wie ich es mir vorstelle. Wenn mir Fehler passieren, ärgere ich mich über mich selbst es vermasselt zu haben. Ich erlebe mich zornig, wenn ich dem Finanzamt, in meinen Augen, noch irgendwas Sinnloses nachliefern muss, oder der Krankenkassenbeitrag stetig steigt und ich keinen Arzttermin in absehbarer Zeit bekommen kann. Ich bin empört, wenn schreiende Ungerechtigkeiten in den aktuellen Kriegen von unseren Politikern nicht sanktioniert werden. Ich bin verärgert, wenn Marianne Dinge, die uns beide betreffen, ohne Absprache festlegt. Ich bin fassungslos, wenn andere Menschen meine Grenzen nicht achten und übergriffig werden.
Wut erlebe ich auch als Ventil, das sich öffnet, wenn der Druck mir zu groß wird, oder ich mit dem Rücken an der Wand stehe und nicht mehr ein noch aus weiß. Ich fühle Enge, es nimmt mir regelrecht die Luft zum Atmen. Ich fühle mich minderwertig, ich sehe mich nicht wahrgenommen oder bin manchmal einfach nur von Aufgaben überfordert. Meine Wutausbrüche, ich werde dann laut, sind dem Anlass oft nicht angemessen, was ich danach recht schnell bereue. Ein anderer Aspekt ist aber auch, dass ich in meiner Wut aus mir heraus gehe, das erlebe ich befreiender, als Dinge in mich hineinzufressen … Ich merke bei all dem, dass mein Lernweg darin besteht meine Wut rechtzeitig wahrzunehmen und auch angemessen auszudrücken. Das gilt ganz besonders für unsere Beziehung und ist hilfreicher, als meine Wut nur polternd auszuleben.
(Marianne) Bis ich in die Wut komme, muss viel geschehen.
Wut macht mir jede Form von Ungerechtigkeit. Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle oder wenn ich den Eindruck habe, zu kurz zu kommen. „Alle anderen werden besser behandelt als ich“, denke ich und werde wütend.
Es gibt auch die hilflose Wut: an vielen Dingen kann ich nichts ändern.
Viel hilflose Wut haben wir in der Ahrflut erlebt, besonders im Umgang mit den Betroffenen und der vermeintlichen Schuldlosigkeiten der Verantwortlichen. Paul und ich haben viele Morgen damit verbracht, uns über den Umgang mit dieser Naturkatastrophe aufzuregen und uns hilflos und wütend gefühlt.
Neben Scham und Trauer ist Wut eines meiner stärksten Gefühle, wenn ich an die Mißbrauchsskandale in unserer Kirche denke. Auch da erlebe ich hilflose Wut über Unfähigkeit und Ignoranz der Verantwortlichen und darüber, wieviel Leid hätte verhindert werden können.
Unendliche Wut habe ich über einen abrupten Beziehungsabbruch in unserer Familie. Neben der Wut erlebe ich da eine große Hilflosigkeit und Ohnmacht, ich kann an der Situation nichts ändern.
Ich lebe meine Wut in der Regel nicht durch Wutausbrüche, sei es verbal oder körperlich aus. Ich erlebe sie eher als Lähmung und Resignation.
Mir tun manchmal die Fluch- und Klagespsalmen gut, in denen ich meine Wut und auch den Wunsch nach Bestrafung und Vernichtung der Verursacher wiederfinden kann. Ich darf meine Wut, meine Enttäuschung, meine Hilflosigkeit vor Gott bringen. Er kann damit umgehen.
In unserer Beziehung erlebe ich wenig Wut, ich erlebe Ärger, wenn unsere Absprachen nicht klappen, wenn Paul manches so anders angeht als ich, wenn unsere Pläne scheitern…
Hinter der Wut steht immer Ohnmacht, Hilflosigkeit (manchmal auch Trauer und Angst). Wer bin ich denn in meiner Hilflosigkeit?
Gerade in Situationen, in denen ich so starke Gefühle wie Wut und alle damit verbundenen Emotionen erlebe, bin ich dankbar für das Werkzeug des Dialog. Im Niederschreiben meiner Gefühle klären sich die Dinge – mir wird oft deutlich, dass hinter meiner Wut eine Ohnmacht und Hilflosigkeit liegt. Das schmerzt auch sehr, aber es macht auch klar, woher meine Wut kommt. Das anschließend mit Paul im Gespräch anzuschauen, hilft mir, diese Gefühle anzunehmen. Wenn Paul mich mit diesen Gefühlen annimmt, dann fühle ich mich aufgehoben und geborgen. Die schweren Gefühle verlieren an Bedeutung und Gewicht. Und in mancher Situation, wie dem Beziehungsabbruch kann Paul dann sogar mein Gefühl teilen. Und es tut mir dann gut, wenn wir so umeinander wissen.
Wir laden Euch ein zum Dialog/zum Gespräch zu der Frage: Erinnere Dich an eine Situation, in der Du wütend warst. Wie geht es mir, wenn ich Dir ein schweres Gefühl, z. B. Wut mitteile? Oder: Wie erlebe ich meine Wut (beschreibe es in einem Bild) und welche Gefühle und Bedürfnisse stecken dahinter? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
Herzlich Shalom Marianne und Paul
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